Konsens und sexuelle Übergriffe
Posted by deconstruct on 2021/03/20
veröffentlicht von Kleingruppe Montachstreff –
Konsens. Für die meisten bedeutet es eine generelle Gruppenentscheidung, bei der alle Parteien mehr oder weniger zugestimmt haben. Für einige beinhaltet dieses Konzept spezifischer, dass zwei oder mehr Personen eine sexuelle Handlung nur dann teilen, wenn vorher und währenddessen abgeklärt wird, ob es eine einvernehmliche Sache ist. Das klingt zunächst relativ simpel und nicht allzu schwer umzusetzen, wird im Alltag aber viel häufiger missachtet als wir es uns eingestehen mögen. Es gibt unzählige Infobroschüren, Bücher und Workshops, welche die Thematik weitaus tiefgründiger behandeln1 als dieser Artikel. Auch ich bin in meinen frühen Zwanzigern auf das Ganze überhaupt erst aufmerksam geworden und zwar durch eine organisierte Gesprächsrunde in Leipzig, über verschiedene sexuelle Themen. Die beiden Leiter*innen des Workshops waren FLINTA-Personen und laut ihren Aussagen ist die Mehrheit der monatlichen Teilnehmer*innen für gewöhnlich FLINTA.
Cis-Männer warten scheinbar immer erst bis es knallt, dann arbeiten sie pro-forma ein bisschen an sich und recht schnell ist das Ganze wieder gegessen. Ich will aber nicht nur mit dem Finger auf andere zeigen: Bei mir war und ist es genau das gleiche Muster und diesen Text schreibe ich vor allem, weil ich vor kurzem das explizite Nein einer Frau ignoriert habe. Vielleicht ist es menschlich immer erst aus einer Konfrontation heraus etwas zu reflektieren und ändern zu wollen, aber genau das ist das Problem. Teil einer privilegierten Gruppe zu sein bedeutet, die Unterdrückung der Anderen zu ignorieren oder zumindest für gewöhnlich zu halten. FLINTA-Personen kämpfen aber jeden Tag gegen patriarchalen Strukturen und sind immer wieder mit sexualisierter Gewalt konfrontiert. Und die geht in den aller meisten Fällen von Cis-Männern aus. Deshalb müssen wir uns damit befassen und öffentlich darüber reden, auch wenn andere bereits einen großen Wissensvorsprung haben. Dabei sollten wir bei uns und unserem eigenen Umfeld mal genauer hinschauen2 und nicht nur auf die bösen Macker verweisen, die wir überall vermuten und sehen. Fehler machen alle, aber dann müssen wir auch dazu stehen und aufhören wegzuschauen. Ich persönlich will also weniger bei anderen die Schuld suchen, sondern vor allem gucken, wo ich meinen eigenen Ansprüchen nicht gerecht werde und geworden bin.
In heteronormativen, christlich geprägten Gesellschaften werden weiblich gelesene Personen dazu sozialisiert kein Interesse an männlich gelesenen Menschen zu äußern oder zuzugeben. Männern wird im Gegenzug beigebracht, dass sie „tolle Hechte“ sind, wenn sie mit vielen Frauen schlafen. Frauen hingegen, so der gesellschaftliche Tenor, „würden sich ja immer zieren“. Das Resultat lautet, dass Männer, angeblich mit Hartnäckigkeit, „ein Nein in ein Ja verwandeln können“.3 Das ist für viele kein Neuland und in verschiedenen sozialen Kontexten mal stärker, mal weniger intensiv ausgeprägt. Das theoretische Wissen hat mich aber nicht davor bewahrt es in verschiedenen Situationen außer Acht zu lassen.
+++Triggerwarnung: Die folgenden Situationen sind Übergriffe, die von mir gegenüber anderen verübt wurden. +++
Eine Bekannte und ich haben kürzlich bei einer ihrer Freundinnen übernachtet, nachdem wir in unterschiedlicher Menge Alkohol getrunken haben. Die Bekannte war schon früher ins Bett gegangen und machte uns etwas später die Tür auf, woraufhin wir zwei betrunken und lachend ins gemeinsame Zimmer kamen. Ich fragte meine Bekannte, die leicht verschlafen wieder ins Bett gegangen war, ob ich ihr einen Gute-Nacht Kuss auf die Wange geben kann. Sie sagte in einem leicht entnervten Ton ´Nein´ und zog sich die Decke über den Kopf. Meine Reaktion darauf war eher eine Belustigung und ich gab ihr einen Kuss an der Stelle wo ich ihren Arm unter der Decke vermutete. Anschließend überhäufte ich ihre Freundin, mit der ich mich an dem Abend sehr viel unterhalten habe, mit mehreren Küssen auf die Wange. Ob ich danach gefragt habe, kann ich mich nicht erinnern. Wenn überhaupt, dann nur nach EINEM Kuss. Sie lachte laut und drehte sich halb weg, bevor wir in unsere jeweiligen Betten gingen. Am nächsten Morgen sprach ich meine Bekannte eher mäßig enthusiastisch darauf an. Es war in etwa ein „Sorry, falls das gestern Abend nervig war“. Sie reagierte sehr bestimmt damit, mir zu sagen, dass sie das gar nicht mag. Als ich antwortete (natürlich mit einer Erklärung, anstatt es direkt zu akzeptieren), dass ihre Reaktion bei mir eher als Spaß rübergekommen war, weist sie mich ruhig daraufhin wie hierbei, typisch für eine rape culture, das Nein einer Frau nicht ernst genommen wurde. Ich gab schließlich zu, dass es wirklich uncool von mir war und es machte sich ein flaues Gefühl im Magen breit. Am Frühstückstisch mit der Freundin entschuldigte ich mich auch ihr gegenüber für mein Verhalten am Vorabend, was sie gelassen abwinkte. Die Bekannte erwähnt in diesem Rahmen dann, dass es tatsächlich nicht das Erste mal gewesen war, dass ich durch solche ungefragten Wangenküsse Grenzen bei ihr überschritten hatte. Sie hatte bis dato aus verschiedenen Gründen noch keinen Weg gefunden es bei mir anzusprechen. Als ich die Bekannte kurz darauf wieder sah wollte ich das Thema noch einmal ansprechen, sie hatte aber keine Lust das große Fass von „Nein heißt Nein“ aufzumachen. Auf eine Rückfrage von mir, wie unsere Beziehung denn nun sei, ob alles okay wäre, wartete sie kurz und sagte dann ´Ja´.
Auch wenn die Bekannte und ihre Freundin verhältnismäßig gelassen reagiert haben, wird mich meine Ignoranz des ´Neins´ noch länger beschäftigen. Das Schlimme ist aber, dass ich es nicht selber als das erkannt habe was es war, nämlich ein übergriffiges Verhalten. Wie so oft musste ein Cis-Mann erst von der Betroffenen darauf hingewiesen werden.
Die ein oder andere Person wird vielleicht denken, „so schlimm wars doch nicht“, aber meine Bekannte hatte völlig Recht, es ist ein Teil der rape culture. Ich habe mich bewusst über das Nein einer Frau hinweg gesetzt, wie es der einzige Cis-Mann, mit dem ich es bisher fertig gebracht habe darüber zu reden, formulierte.
Manchmal gibt es aber Situationen, in denen nicht gefragt wird und ein Ja einfach vorausgesetzt wird. Das kann sich durch Ignoranz zusätzlich verschlimmern. Im Folgenden werde ich expliziter schreiben, um die Situation darstellen zu können.
Ich bin nicht gerade der selbstsicherste Mensch bei sexuellen Handlungen. Es passiert fast nie, dass ich beim Sex mit anderen Personen zum Orgasmus komme, was mich an mir zweifeln lässt. Deshalb brauche bei den ersten Malen im Bett länger Zeit, bis ich mich wohl genug fühle. Erst dann lässt der empfundene Leistungsdruck nach, der sich unter anderem auf meine Möglichkeit einer Erektion auswirkt. Das bedeutet aber auch, dass ich bisweilen ganz schnell loslegen möchte, wenn ich eine Erektion bekomme, da ich Angst habe ich könnte sie wieder verlieren. Absprachen treffen kommt mir dann nur bedingt in den Sinn (obwohl sie ohnehin vorher getroffen werden sollten). Von Gesprächen mit anderen Frauen (wohlgemerkt) habe ich erfahren, dass ich mit all dem natürlich nicht der einzige Mann bin, ein weiterer Grund warum ich diese Zeilen hier schreibe.
+++Ich möchte davor warnen, das einige Personen von dem Beschriebenen hier getriggered werden könnten.+++
Vor ca. einem Jahr, bei dem zweiten Mal von penetrativen/Circlusions4– Sex, den eine Frau und ich hatten, nach mehreren Wochen gemeinsamer Treffen, gab es eine Situation in der es sich für mich ziemlich gut anfühlte. Ich intensivierte die Bewegung, woraufhin sie sagte, dass ihr das weh tun würde. Nach einer Weile ruhigerer Interaktion machte ich aber genau die gleiche intensive Bewegung wieder, weil es so ein tolles Gefühl war. Nach kurzer Zeit wollte sie dann die Position ändern. Als wir später kuschelnd nebeneinander lagen, sagte ich so etwas wie „Sorry, falls das eben weh tat“, woraufhin sie mir eine wohlmeinende Antwort gab, und der Vorfall dann nicht mehr besprochen wurde. Dabei wusste ich ganz genau, dass ihr das weh getan hatte. Sie musste es ja sogar ansprechen und ich hatte es dennoch ignoriert, weil mir meine eigene Befriedigung wichtiger war als ihr Wohlbefinden. Heute wird mir übel, wenn ich daran denke.
Es gibt noch viele weitere Situationen in denen ich (meist alkoholisiert) von mir weiblich gelesene Personen im Partykontext schnell versucht habe zu küssen. Oder beim Küssen und anderen sexuellen Handlungen, ohne Nachfrage,sehr intensiv wurde und mehrfach gebremst werden musste. (+++Trigger Ende+++)
Was aus diesen Erfahrungen gezogen werden kann? Vorher Absprachen treffen, was Leute im Bett gerne machen und was nicht, kann eine Menge vorweg entschärfen. Auch bei One-Night-Stands sollten die gegenseitigen Grenzen und Bedürfnisse abgeklärt sein. Dadurch können sogar anfänglichen Unsicherheiten ein Stück weit verringert werden. Ein tatsächliches aufeinander Achten und Wertschätzen ist nur dann möglich, wenn wir aufhören unsere sexuellen Begehren über das Wohl anderer zu stellen und während sexueller Handlungen kurz innehalten und fragen, wie es der anderen Person geht und ob es sich gut anfühlt. Denn mein Verhalten basierte auf jeden Fall nicht auf sexuellem Einvernehmen. Es waren gefährliche, übergriffige Schritte in Richtung, und auch innerhalb des Rahmens, von sexualisierter Gewalt. Ich habe mit beiden Betroffen noch einmal vorab über die Vorfälle und den Artikel gesprochen. Dabei wurde noch einmal erklärt, dass es eine Belastung und wirklich nicht einfach ist, sexuelle Übergriffe aus der Perspektive von Betroffenen immer wieder selbst thematisieren zu müssen. Sei es in dem Moment oder im Nachhinein.
Warum ich bisher mit kaum Cis-Männern über diese Übergriffe geredet habe? Größtenteils, weil ich befürchtet habe, einige würden es als harmlos abtun und mir damit ein vermeintlich ruhiges Gewissen machen. Aber wenn ich ehrlich bin ist es mir auch unangenehm und ich habe Angst, dass sich das Bild ändern könnte was enge Freunde von mir haben. Cis-Männer müssen sich besser mit ihrem Verhalten auseinandersetzen und mehr darüber reden. Und es gehört unter anderem auch dazu über Pornokonsum zu reden, der meist alles andere als Konsens und Sex auf Augenhöhe abbildet. Erektionsprobleme gibt es da nicht und es scheint so als wäre 99% Penetration/Circlusion bei lautem Dauergestöhne das Einzige was Sex ausmacht. Aber Sex kann viel mehr als das sein.
Genau so wichtig ist es auch über Unsicherheiten beim Sex zu reden. Rape culture und sexueller Leistungsdruck (in Performanz und Zahl der Sexualpartner*innen) sind eine toxische Mischung, die wir nur mit sehr viel Arbeit über Bord werfen können. Mit ganz viel Glück, gibt es vielleicht in Zukunft weitere, winzig kleine Beiträge auf diesem Weg, der noch sehr lang sein wird. Also liebe Cis-Männer, mehr über Konsens reden und über Sex generell, und zwar wirklich ehrlich reden.
1 Material dazu unter anderem auf: https://konsenslernen.noblogs.org/linksressourcen-deutsch/
2 Zu Männlichkeit und sexualisierter Gewalt innerhalb der Linken: http://achtermai.blogsport.de/2020/07/09/gespaltene-subjektivitaet-linke-maennlichkeit-und-sexuelle-grenzueberschreitungen-fuer-eine-pro-feministische-praxis-von-maennern/
3 Artikel von Margarete Stokowski zu rape culture: https://taz.de/Rape-Culture/!5075574/
4 „Circlusion ist der Gegenbegriff zu Penetration. Beide Worte bezeichnen etwa denselben materiellen Prozess. Aber aus entgegengesetzter Perspektive. Penetration bedeutet einführen oder reinstecken. Circlusion bedeutet umschließen oder überstülpen. (…) Damit ist aber auch das Verhältnis von Aktivität und Passivität verkehrt.“ (Bini Adamczak 2016: https://missy-magazine.de/blog/2016/03/08/come-on/ Zugriff 13.10.2020).
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