Männlichkeit und Partnerschaft Teil 2

Posted by deconstruct on 2021/03/20

veröffentlicht von Kleingruppe Montachstreff –

Im ersten Teil ging es vor allem um meine persönlichen Erfahrungen, Verhaltensweisen und Gedanken hinsichtlich Partnerschaften im Kontext von Männlichkeit, welche als negativ bzw. toxisch identifiziert und reflektiert werden sollten. Das ist meine ganz persönliche Ebene, die sich negativ auf Frauen in meinem Umfeld auswirkte und auswirkt. Im folgenden möchte ich darüber hinaus gehen und reflektieren, welche gesellschaftlichen Rahmenbedingungen auf mich wirkten und wirken, wie ich sozialisiert wurde und welche weiteren Faktoren meine Männlichkeit und damit meine Partnerschaften beeinflusst haben. Um langfristige gesellschaftliche Veränderungen herbeizuführen, brauchen wir ein Bewusstsein über diese Faktoren und müssen Verantwortung für uns und andere übernehmen.

Aufgewachsen bin ich in einer gutbürgerlichen Kleinfamilie in einer bayerischen Provinz. Zusammen mit meiner etwas jüngeren Schwester und meinen Eltern, die nach wie vor zusammen leben, bewohnten wir zunächst ein Mietshaus und später ein Eigenheim. Mein Vater war der typische Workaholic. Seine Vollzeitstelle fand im Außendienst statt, er war also viel unterwegs, teilweise mehrere Tage am Stück, manchmal eine ganze Woche. Regelmäßig bekamen wir ihn nur abends, oder am Wochenende zu sehen. Meine Mutter war Hausfrau, sie übernahm den überwiegenden Teil unserer Erziehung, nahezu sämtliche Hausarbeiten und arbeitete nie in ihrem erlernten Beruf. Zwischendurch arbeitete sie ein paar Jahre in einer Kneipe und später übernahm sie Büroaufgaben der Firma meines Vaters, mit der er sich selbständig machte. Ich ging in den Kindergarten, danach in die Grundschule, danach aufs Gymnasium, danach auf die Fachoberschule und danach in die Universität. Mit fünf Jahren begann ich Fußball im Verein zu spielen und blieb dabei bis ich 16 Jahre alt war. In meiner Pubertät hörte ich erst Hip-Hop und wurde Hip-Hopper, dann fing ich an zu skaten und wurde Skater, dann hörte ich Punk und wurde Punker.

Als Kind spielte ich sehr gerne mit Lego Steinen und Carrera Bahnen. Ich kreierte phantasievolle Gebilde aus Lego, meistens Fahrzeuge oder Burgen. Später spielte ich mit Soldaten, Panzern und anderen Fahrzeugen aus Plastik, mit denen ich Kriege im Kinderzimmer nachspielte. Ich sammelte Überraschungseier, bzw. Figuren aus den Ü-Eiern und spielte mit kleinen Kriegsflugzeugen aus dem zweiten Weltkrieg, diese kleinen aus Styropor, die man selbst zusammenbauen konnte. Ich sammelte Panini-Fußballsticker und kann mich noch sehr gut an die Fußball-Bundesliga 1994/95 erinnern. Da war ich fünf bzw. sechs Jahre alt. Ich hatte allerdings auch eine Barbie Puppe mit einer blauen Jeans Jacke und Glitzerfarbe. Mit der Glitzerfarbe konnte man ihre Jacke nach den eigenen Wünschen bemalen. Die Glitzerfarbe war gold, silber und rosa. Es kostete mich große Überzeugungsarbeit bis mir meine Eltern eine kauften. Ich musste ihnen immer wieder versichern, dass ich wirklich eine Barbie haben wollte. Ich war neidisch auf die vielen Barbies meiner Schwester, weshalb ich ihnen oft die Köpfe abzog und versteckte. Meine Begeisterung für Barbies hielt nicht lange. Ich vermute, dass ich lernte, dass Barbies kein angemessenes Spielzeug für Jungs sind. In sehr jungen Jahren haben Kinder schon genaue Vorstellungen davon, was ein Junge ausmacht, was ein Mädchen ausmacht und mit welchen Spielsachen Jungs spielen und mit welchen eben nicht.

Im Kindergarten war ich auch mit weiblich gelesenen Personen befreundet, wenn man das so nennen kann. Wir spielten miteinander. Ab der Grundschule hatte ich nur noch männliche Freunde. Das hielt an bis zu meinem 21. Lebensjahr. In diesem lernte ich eine Frau kennen, mit der ich eine intensive freundschaftliche Beziehung begann die noch bis heute hält. Davor hatte ich ausschließlich emotionalen Kontakt zu Mädchen und Frauen, denen ich mich emotional und später mit zunehmendem Alter auch sexuell hingezogen fühlte1. Die Freundschaften mit Jungen und Männern, die ich führte (und in der Mehrheit immer noch führe) zeichneten sich nicht gerade durch eine emotionale und tiefgreifende Nähe aus. Wir trafen uns zum Fußball spielen, zum zocken verschiedener Konsolen oder Computerspiele, für Brett- oder Kartenspiele, zum Shisha rauchen, zum Kiffen und chillen oder zum Alkohol trinken. Uns verbanden gemeinsame Hobbies, ähnliche Interessen und der gleiche Drang, negative Gefühle oder Probleme durch Alkohol- oder Drogenkonsum zu verdrängen. Bis zu meinem 28. Lebensjahr habe ich nie einem anderen Jungen oder Mann etwas von meinen Problemen erzählt, über Stress in der Schule oder Zuhause mit oder zwischen meinen Eltern geredet, oder über das was es mit mir macht, wie es sich anfühlt, oder was es eben nicht mit mir macht, weil ich sehr schnell ver- oder nie gelernt habe, negative Gefühle zu empfinden und zu artikulieren. Was negative Gefühle angeht, also Gefühle wie Wut, Trauer, Verzweiflung, Überforderung, Druck, etc., bin ich ein emotionsloses Wrack. Das führt dazu, dass ich den engsten Menschen in meinem Umfeld, den Menschen denen ich viel bedeute und umgekehrt, gar nicht vermitteln kann was mich beschäftigt. Dieser Zugang zu meiner eigenen Gefühlswelt fehlt mir. Das wiederum führt zu Distanz innerhalb meiner freundschaftlichen und romantischen Beziehungen. Schließlich möchte man sich nah sein, wissen was die andere Person umtreibt, um ihr zuzuhören und zur Seite stehen zu können.

So wie mir ging es vielen meiner männlichen Freunde. Ich wusste nie was bei ihnen abgeht und bin immer davon ausgegangen, dass es allen gut geht und niemand Probleme hat. Bei manchen Freunden haben sich die Eltern getrennt, Großeltern sind gestorben oder romantische Beziehungen wurden beendet. Ich hatte nie den Eindruck, dass solche Ereignisse irgendeinen Effekt auf die Gefühlswelt meiner Freunde hatte. Indianer kennen keinen Schmerz, weder physischen noch psychischen. Das ist einer von diesen Sprüchen, die man als kleiner Junge gesagt bekommt und so bescheuert das auch klingen mag, sie setzen sich sehr tief ins Bewusstsein und bestimmen unser Denken und Fühlen. Jede Abwandlung dieses Spruchs, ob das nun „So schlimm ist das doch nicht“, „Jungs/Männer weinen nicht“ oder „Reiß Dich mal zusammen, Du bist doch kein Mädchen“ ist, trägt seinen Teil dazu bei. Wie ein kleines Mosaiksteinchen. Recht schnell ergibt sich in der Kombination mit etlichen weiteren Steinchen ein großes Bild, in welchem Männer stark sind, keine Gefühle zeigen, alles erreichen können wenn sie sich nur anstrengen und Macht besitzen. Und in welchem Frauen verweichlicht sind, weil sie Gefühle zeigen und äußern, nichts erreichen weil sie sich auch nicht anstrengen und machtlos sind. In meinen Partnerschaften habe ich mich daher auch nicht für die Gefühle oder Bedürfnisse meiner Partnerinnen interessiert. Es ging einzig und allein um mich.

Bis zu meinem sechsten Lebensjahr habe ich viel und schnell geweint. Weinen war für mich Ausdruck von Traurigkeit, von Wut, von Angst und von Überforderung. Sobald etwas passierte, was ein schlechtes Gefühl in meinem Bauch verursachte, fing ich an zu weinen. Eine Katze starb und ich weinte. Ich bekam einen Anschiss von meinen Eltern und ich weinte. Ich bekam einen Anschiss von irgendeinem Erwachsenen und ich weinte. Andere Kinder im Kindergarten nahmen mir ein Spielzeug weg und ich weinte. Ich durfte bei anderen nicht mitspielen, wurde also ausgeschlossen und ich weinte.
Ich kann mich allerdings kaum an Situationen erinnern, in denen ich nach dem sechsten Lebensjahr, bzw. nach meiner Einschulung weinte. Eine davon war in der ersten Klasse. Die Jungs unserer Klasse haben sich auf dem Pausenhof mit den Jungs einer Parallelklasse zum Prügeln getroffen. Das waren meine ersten Erfahrungen mit Prügeleien und Gewalt. Ich habe keine Ahnung, warum wir uns prügelten. Es war nicht so, als wäre irgendetwas passiert, dass diese Schlägereien begründet hätte (nicht, dass ich Gewalt wie diese auch nur im Ansatz verteidigen möchte). Wir waren Jungs und lernten durch praktische Erfahrungen, dass das zum Junge sein dazu gehörte. Wir wollten uns gegenseitig Stärke beweisen, uns von anderen abgrenzen, zusammenhalten beim „Kampf“ gegen die anderen, uns aufwerten, indem wir andere abwerteten. Bei einer dieser Auseinandersetzungen wurde mir ins Gesicht geschlagen, das tat sehr weh. Also fing ich an zu weinen. In meiner Lebensrealität war das die ultimative Niederlage, die öffentliche zur Schau Stellung der eigenen Schwäche. Und damit nicht genug, lachten mich die anderen Jungen aus. Nicht nur an diesem Tag, sondern auch an den folgenden Tagen und Wochen. Wenn man jeden Tag von anderen Kindern und Mitschülern als „Heulsuse“ betitelt wird, lernt man, bei der nächsten Gelegenheit bei der man wieder weinen muss, jegliche Tränen nach aller Kraft zu unterdrücken.
Mit der Zeit fiel mir das immer leichter. Ich wusste ja bereits vorher, dass es falsch ist als Junge zu weinen. Wie bereits erwähnt, werden Jungen häufig von Menschen in ihrem Umfeld, Freund*innen, Familienangehörige, Erwachsene, darauf aufmerksam gemacht, dass sie nicht weinen sollen. Weil Jungs das nicht machen und weil sie doch keine Heulsusen sein wollen, so wie die Mädchen. Später kommen soziale Sanktionen hinzu. Jungen und Männer beweisen sich gegenseitig immer wieder ihre Stärke indem sie keine Gefühle zeigen und andere abwerten und ausschließen, wenn sie das tun.

Die Beziehung meiner Eltern und wie sie diese führten hat mich ebenfalls beeinflusst. Die Rollenverteilung zwischen den beiden war klar. Mein Vater arbeitete und verdiente das Geld. Meine Mutter war für den Haushalt zuständig. Sie kochte die Mahlzeiten und übernahm den überwiegenden Teil der Care-Arbeit. Dazu zählte Staubsaugen, Wäsche waschen, Bügeln, Putzen, aufräumen, kochen, spülen, Besorgung von Schulmaterialien und die Kindererziehung und Betreuung. Solche Tätigkeiten erledigte ich nie bis zu meinem Auszug aus dem Elternhaus. Mein Zimmer musste ich zwar selbst aufräumen, wie man aber beispielsweise eine Waschmaschine bedient, brachten mir meine ersten Mitbewohner*innen bei. Mein Vater ging mit mir auf den Bolzplatz zum Fußballspielen.

Ich erinnere mich nicht daran, dass meine Eltern jemals Zärtlichkeiten vor uns Kindern austauschten, oder sich schöne Dinge sagten. Aus meiner Perspektive waren sie immer ein Paar. Das hat sich aber eher darin geäußert, dass sie meine leiblichen Eltern sind, uns erzogen, ein Dach über den Kopf und Mahlzeiten bereitstellten, allgemein gesagt für uns verantwortlich waren. Besonders in der Zeit in der sie viel Alkohol tranken, habe ich häufig Streits zwischen ihnen erlebt. In vielen Nächten lauschte ich an der Tür meines Zimmers im ersten Stock und bekam Angst, wenn sie sich anschrien und gegenseitig Vorwürfe machten. In besonders heftigen Zeiten fand ich morgens Zettel mit wüsten Anschuldigungen und Beschimpfungen, die meine Mutter meinem Vater hinterlegte. Um was es dabei ging habe ich längst verdrängt. Ich habe von ihnen nie gelernt über meine Probleme zu reden, oder das was mich beschäftigt. Sie fragten nie nach und sie erzählten mir nie von ihren eigenen. Sie sagten nie „Ich liebe Dich“ zu mir und gaben mir lange Zeit nicht das Gefühl, dass ich mich ihnen gegenüber öffnen könnte, wenn mich etwas belastet. Erst als sie mich im Alter von 18-20 Jahren zweimal von der Polizeidienststelle abholen mussten, versicherten sie mir, dass sie immer für mich da sind.
Auch über meine romantischen Beziehungen redeten wir nicht miteinander. Weder darüber wie ich diese Beziehungen führte, noch über Sexualität. Sie vermittelten mir ein grundsätzliches Verständnis von Recht und Gerechtigkeit, von Regeln und Normen. Aber nichts darüber, wie ich mich meiner Partnerin gegenüber verhalten sollte, welche Bedürfnisse, Wünsche und Grenzen es zu achten und zu beachten gibt. Aufgeklärt wurde ich von Mitschülern. Von ihnen lernte ich auf einer theoretischen Ebene wie penetrativer Sex mechanisch funktioniert. Im Biologieunterricht lernte ich, was aus einer Eizelle entsteht, wenn sich ein Spermium in ihr einnistet. Auch in der Schule lernte ich nicht, wie ich mich einer Person gegenüber verhalten sollte und wie nicht, wenn ich mich ihr körperlich und emotional hingezogen fühlte.

Der Hip-Hop, den ich ich meiner Jugend hörte, war widerlich. Die Texte bestanden aus homofeindlichen Disstracks, in denen die gleichgeschlechtliche Liebe zwischen zwei Männern als falsch und ekelhaft bezeichnet und die Liebe zwischen zwei Frauen allenfalls als männliche Phantasie gesehen wurde. Als etwas anziehendes, erotisches. Frauen wurden generell abgewertet. Die Mütter von anderen Menschen oder Frauen im Allgemeinen wurden als Schlampen und Huren bezeichnet und die Beziehungen zwischen Männern und Frauen auf das widerlichste sexualisiert. Es ging immer darum, wie der Mann die Frau fickt, sie ihm einen bläst oder er sie nach seinem Willen zu seiner eigenen macht. Bis hin zu Vergewaltigung und Mord.

Die Kritik am Hip-Hop und dessen Einfluss auf Männlichkeiten könnte ein eigenständiger Text werden. Genauso wie Pornografie, deren Fokus auf männliche Bedürfnisse und deren Einfluss darauf, wie wir lieben, was wir im Bett wollen, wie wir Frauen (sexuell) behandeln, wir wir uns verhalten und worüber wir uns keine Sekunde lang Gedanken machen (weibliche Lust, Respekt vor und Einhaltung von Grenzen, nachfragen, Zustimmung, Konsens, und und und). Viele der bereits geöffneten Themen können und werden eigenständige Texte (werden). Derzeit geht es um Beziehungen und Männlichkeit. Beim Nachdenken und Schreiben merke ich, dass vieles ineinander übergeht. Patriarchale Strukturen wirken ständig auf mich. Sie bestimmen, wie ich aufwachse und wie sich meine Eltern mir gegenüber verhalten, wie sie mich erziehen. Sie bestimmen meinen Alltag im Kindergarten und in der Schule. Sie haben einen großen Einfluss auf meine Gefühle und wie ich diese wahrnehme. All das wirkt wiederum auf meine Beziehungen, egal ob das freundschaftliche oder romantische Beziehungen sind. Ich habe gelernt, keine Gefühle zuzulassen, geschweige denn zu zeigen. Ich habe gelernt, meinen eigenen Willen durchzusetzen und meine Meinung als die richtige zu empfinden. Ich habe nicht gelernt, mich für die Bedürfnisse anderer Menschen zu interessieren oder emotionale Nähe zuzulassen. Ich habe verlernt zu weinen.

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